Werden Stellen wie Rundfunkanstalten oder Krankenkassen überwiegend staatlich finanziert und kontrolliert, sind sie „öffentliche Auftraggeber“ im Sinne des Vergaberechts. Folge: Bei der Beschaffung müssen diese Stellen die Vergabevorschriften einhalten, also ihre Leistungen ausschreiben und u.U. das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren durchlaufen. Was gilt aber für Kammern, die sich selbst organisieren und zum Beispiel ihre Gebührenordnung sowie Art und Höhe der Mitgliedsbeiträge selbst festlegen? Sind IHK und Handwerkskammer „öffentliche Auftraggeber“?
Hintergrund
Der europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits 2013 (Az. C-526/11) entschieden, dass Ärztekammern keine „öffentlichen Auftraggeber“ im Sinne des Vergaberechts sind. Der EuGH begründete seine Entscheidung damit, dass die Kammern weder überwiegend staatlich finanziert noch kontrolliert werden. Der EuGH führte hierzu u.a. aus, dass die einschlägigen Regelungen den Ärztekammern eine erhebliche Autonomie „bei der Bestimmung des Wesens, des Umfangs und der Durchführungsmodalitäten der von ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgeübten Tätigkeiten, (…) einräumt (…)“. Diese Selbstbestimmung werde nach Ansicht des Gerichts „noch dadurch verstärkt, dass die besagte Regelung von einer Versammlung erlassen wird, die aus den Beitragspflichtigen selbst besteht.“
Kurz:
Kann eine öffentliche Stelle ihre Tätigkeiten unabhängig und frei von staatlicher Finanzierung und Kontrolle selbst bestimmen, ist sie kein „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne des Vergaberechts.
Gilt das nun auch für die Industrie- und Handelskammern (IHK) oder die Handwerkskammer (HwK)?
Was ist passiert?
Eine IHK hatte die Installationen und Wartungen für Server- und Speichervirtualisierung europaweit ausgeschrieben. In der entsprechenden EU-Bekanntmachung hatte die IHK die Vergabekammer Sachsen (VK Sachsen) als zuständige Stelle für das Nachprüfungs- bzw. Rechtsbehelfsverfahren benannt. Gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung wandte sich ein Bieter im Rahmen eines Nachprüfungsantrages an die VK Sachsen. Die Kammer wies den Bieter darauf hin, dass die IHK nach ihrer Ansicht kein „öffentlicher Auftraggeber“ sei und sie somit unzuständig sei. Hieraufhin hat der Bieter seinen Antrag zurückgenommen. Es war sodann noch über die Kosten zu entscheiden.
Die Entscheidung
Nach Auffassung der VK Sachsen ( Beschl. v. 12.11.2015 – 1/SVK/033-15) sind die deutschen Industrie- und Handelskammern keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts. Wie im Falle des EuGH zu den Ärztekammern (s.o.), werden auch die IHK weder überwiegend staatlich finanziert noch beaufsichtigt. In der Konsequenz müssen die IHK bei der Beschaffung ihrer Beschaffung nicht die vergaberechtlichen Vorschriften beachten, sodass Unternehmen, die sich um Aufträge bewerben, auch nicht der Rechtsweg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen offen steht. Im vorliegenden Verfahren musste die IHK die Kosten dennoch tragen, da sie den (unzutreffenden) Rechtsschein einer Kontrolle durch die VK Sachsen gesetzt hatte.
Zusammenfassung
Die Ausführungen der VK Sachsen entsprechenden den Vorgaben des EuGH. Als wesentliche Voraussetzung für die Einordnung als „öffentlicher Auftraggeber“ ist, dass
- kein Selbstbestimmungsrecht der Stelle besteht, insbesondere die Stelle nicht das Recht hat ihren Wirtschaftsplan, die Gebührenordnung sowie Art und Höhe der von den Mitgliedern beizubringenden Beiträge selbst zu bestimmen. Dies ist im Fall der IHK aber gerade der Fall.
- Wie bei Ärztekammern auch, werden diese Regelungen ebenfalls durch die Vollversammlung getroffen, deren Mitglieder wiederum von den Kammerangehörigen gewählt werden, § 5 IHKG.
- Auch die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in der IHK oder die staatliche Rechtsaufsicht stehen dem Ausschluss als „öffentlicher Auftraggeber“ nicht entgegen. Hiermit geht keine überwiegende staatliche Finanzierung oder Kontrolle einher.
- Das Ergebnis kann auch auf die Handwerkskammern übertragen werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.
Fazit
Ob eine Stelle als „öffentlicher Auftraggeber“ anzusehen ist , hängt maßgeblich von deren Selbstbestimmungsrecht ab. Insbesondere wenn diese Rechte durch die gewählten Mitglieder selbst ausgeübt werden, wird eine überwiegend staatliche Finanzierung und Kontrolle zu verneinen sein.
Und ohne Staatsnähe auch keine Pflicht zur Einhaltung der Vergabevorschriften!
Achtung: Allein die Pflichtmitgliedschaft oder die staatlichen Rechtsaufsicht, begründen noch keinen Status als „öffentlichen Auftraggeber“
Autorenhinweis
Die Autorin, Rechtsanwältin Anna Rehfeldt, LL.M mit Sitz in Berlin, berät Unternehmen in den Bereichen Zivil-, Bau- und Vertragsrecht, Arbeitsrecht sowie im Marken-, Patent- und Wettbewerbsrecht. Zudem übernimmt sie das Forderungsmanagement für Unternehmen!
Etabliert haben sich insbesondere ihre Inhouse-Schulungen sowie ihr Angebot einer externen Rechtsabteilung (http://www.ra-rehfeldt.de/service/)!
Rechtsanwältin Anna Rehfeldt, LL.M.
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