Eine aktuelle Studie hat die Wegezeiten der Arbeiter am Bau näher analysiert und dabei angemahnt, dass diese zu lang und außerdem unbezahlt seien. Im Durchschnitt beträgt eine Fahrt zur Baustelle rund 54 Minuten bei einer Entfernung von 64 Kilometer. Die Beschäftigten anderer Branchen legten deutlich weniger Kilometer für den Weg zur Arbeit zurück.
Die Wege zur Baustelle sind für die meisten Arbeitnehmer am Bau zu lang. Das ergab eine aktuelle Studie des Pestel-Instituts im Auftrag der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Die einfachen Fahrten, die zudem unbezahlt sind, betragen rund 54 Minuten. So brauchen 47,4 Prozent der Beschäftigten für eine Fahrt zur Baustelle mehr als eine Dreiviertelstunde. Fast jeder vierte Mitarbeiter (24 Prozent) fährt sogar mehr als 60 Minuten. Das ist fünfmal so viel im Vergleich zu Arbeitnehmern allen anderen Branchen. Dort sind es lediglich fünf Prozent, die mehr als eine Stunde zu ihrem Arbeitsplatz fahren. „Die Studie zeigt, dass Baubeschäftigte überlangen Fahrzeiten ausgesetzt sind, weil die Baustellen immer weiter vom eigentlichen Unternehmenssitz entfernt liegen“, erklärt IG BAU Bundesvorstandsmitglied Carsten Burckhardt. “Kein Bauarbeiter kann sich aber aussuchen, wie weit die Entfernungen zu seinen Baustellen sind.“ .
Entschädigung für langen Wegezeiten ist Bestandteil der aktuellen Tarifverhandlung
Deshalb fordert die IG BAU in der aktuellen Tarifrunde für das Bauhauptgewerbe eine Vergütung dieser Zeiten. Auch rund 95 Prozent der Beschäftigten erwarten, dass dieser Punkt tariflich geregelt wird. Somit ist diese Forderung ein essentieller Bestandteil der diesjährigen Tarifverhandlung und tatsächlich aktuell auch der größte Streitpunkt zwischen den Tarifparteien. So verlief bereits der zweite Verhandlungstag Ende der letzten Woche ergebnislos und wurde erneut vertagt. „Wir haben heute erstmals konkretere Vorstellungen der IG BAU gehört und müssen diese nun bewerten”, begründete Uwe Nostitz, Verhandlungsführer der Arbeitgeber und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), die Verhandlungsunterbrechung. “Dafür brauchen wir Zeit. Dabei müssen wir auch prüfen, inwieweit diese die bereits vorhandenen tariflichen Regelungen tangieren.“ Die nächste Verhandlung findet am 25. Juni 2020 in Wiesbaden statt. Auch dort wird das größte Diskussionsthema wieder die von den Gewerkschaften geforderte Vergütung der Wegezeiten sein.
Weitere Diskussionsthemen für die Tarifverhandlung
Gleichzeitig boomt die Bauwirtschaft immer noch, und die Corona-Krise wirkt sich kaum auf die Branche aus. Es gibt fast keine Kurzarbeit, und die Betriebe schieben noch die Auftragsbestände aus dem Jahr 2019 und dem ersten Quartal 2020 vor sich her. Laut dem Statistischen Bundesamt stiegen die Baugenehmigungen im ersten Quartal 2020 um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Gleichzeitig wurde das Personal um vier Prozent aufgestockt. Rund 2.800 offene Stellen registrierte die Bundesagentur für Arbeit. Hinzu werden weitere Impulse durch das Konjunkturpaket der Regierung gesetzt.
Burckhardt zeigt sich daher enttäuscht darüber, dass es von seiten der Arbeitgeber noch kein verhandlungsfähiges Angebot geben würde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich die Verhandlungen anscheinend künstlich in die Länge ziehen würden. Die IG Bau fordert nicht nur deutliche Lohnerhöhungen, sondern auch bei der Ausbildungsvergütung und die Bezahlung der Wegezeiten.